Auf klitschnasser Fahrbahn komme ich bei einer Vollbremsung total ins Rutschen. Foto: Martin Müller
So erschöpft wie am vergangenen Sonntagabend war ich zuvor genau einmal in meinem Leben. Ich war damals fünf und hatte meine erste Schwimmstunde. Danach wollte ich nur noch Gummibärchen und in mein Bett. Rund 40 Jahre später war ich wieder an diesem Punkt. Am vergangenen Sonntagabend bin ich im Sitzen vor dem Fernseher eingeschlafen – mein Käsebrot auf dem Schoß. Ich hatte gerade acht Stunden Fahrsicherheitstraining beim ADAC hinter mir. Und das hatte es in sich.
Ich bin ein sehr vorsichtiger, defensiver, oft auch ängstlicher Fahrer. Ich bin lieber zehn Stundenkilometer zu langsam als zu schnell, steige beim Parken dreimal aus und schaue mir die Lücke an, nur um keinen anderen Wagen zu touchieren, und ich überhole so gut wie nie.
Die Reaktionszeit
Einmal bin ich bisher in eine brenzlige Situation gekommen. Ich war auf der A93 vor Regensburg. Sehr spät bemerkte ich ein Stauende vor mir. Während ich das erste Mal mein ABS gegen mein Bein hämmern spürte, ärgerte ich mich über die Schrecksekunde, die an mir vorübergezogen war, bis ich voll in die Bremsen stieg.
Diese Reaktionszeit hat jeder, erfahre ich beim Fahrsicherheitstraining. Die muss beim Fahren immer mit eingerechnet werden. Selbst routinierte Fahrer haben sie. Unser Gehirn arbeitet so. Ich schlitterte damals auf den Standstreifen um Haaresbreite am Wagen vor mir vorbei.
Der Reaktionsweg und der Bremsweg ergeben eben erst zusammen den Anhalteweg, erklärt Martin Müller, unser Fahrsicherheitstrainer vom ADAC mir und den anderen acht Teilnehmern am Übungsplatz.
Zwei aus unserer Gruppe haben noch Begleiter dabei, die gegen einen Aufpreis als „Copiloten“ mitfahren dürfen. Martin und wir Teilnehmer werden schnell warm miteinander. Geduzt wird sowieso. „Dann geht ein Anschiss viel leichter“, meint Martin grinsend und hat die Lacher auf seiner Seite. Das Eis ist gebrochen. Kritisiert wird im Laufe des Tages aber keiner, vielmehr lobt der Fahrsicherheitstrainer oft, ermuntert und gibt zusätzlich eine Menge hilfreiche Tipps, damit die Übungen nach und nach immer besser klappen.
Was Gefahren angeht, nimmt Martin allerdings kein Blatt vor den Mund. Er schildert uns beim Training am Übungsplatz eine Szene. Feierabend in einem kleinen Dorf. In Gedanken schon am Stammtisch, schlendert ein Fußgänger zwischen geparkten Autos über die Straße Richtung Wirtshaus.
Martin spielt mit uns die Szene durch. Wie würde sie ablaufen, wenn wir mit 50 Stundenkilometern in den Ort fahren, wie mit 70 Sachen? Wir stehen am Rand der Fahrbahn. Die Bremspunkte sind markiert. Mir ist plötzlich klar, dass ich in der Todeszone stehe. „Es kann 1 000 Mal gut gehen, beim 1 001. Mal passiert es. Und dann muss man damit leben“, sagt Martin. Die Gruppe sagt nichts. Auch wenn eine etwas überhöhte Geschwindigkeit noch keinen Punkt in Flensburg kostet, kann sie trotzdem ein Leben kosten. Das wird uns klar.
Wenig Theorie, viel Praxis
An diesem Sonntag haben wir weit weniger Theorie als geplant. Der Seminarraum darf nicht genutzt werden – Hygienemaßnahme wegen der Coronapandemie. Trainer Martin sieht das gar nicht so problematisch. „Dann haben wir mehr Zeit für die Praxis.“
Und so ist es auch. Statt gut zwei Stunden im ADAC-Gebäude zu verbringen, gibt es am Übungsplatz kurze Feedbacks in der Gruppe nach jeder Übung. Die meiste Zeit sitzen wir im Auto mit Funkgeräten neben uns. Martin steht so ständig in Kontakt mit der Gruppe und gibt Anweisungen und Hilfestellung. Martin weiß aus Erfahrung, dass die Situationen für jeden hier neu sind. Szenarien wie beim Fahrsicherheitstraining hat man meist live noch nie erlebt und man wird hoffentlich auch nie in solche Situationen kommen.
Hilfreiche Korrekturen
Trotzdem ist es ein gutes Gefühl, brenzlige Situationen einmal durchgestanden zu haben. Vielleicht ist es genau das bisschen Übung, das einem im Ernstfall die nötige Geistesgegenwart verschafft und hilft, Schlimmes zu verhindern.
Die Übungen sind von leicht nach schwer aufgebaut. Wir machen als erstes lockere Slalomfahrten um Verkehrshütchen, probieren verschiedene Fahrtechniken aus, weit auslenken oder knapp an den Hütchen vorbeifahren. Die ersten Hütchen kippen. Ist nicht schlimm. Wir sind ja hier zum Üben. Nach einigen Durchgängen kapiere ich: früh lenken und dann sanft und eng an den Hütchen vorbeifahren und immer vorausschauend sein.
Vollbremsen ist schwierig
Nachdem wir unser Auto in Kurvenlage und die Fliehkräfte nun gut einschätzen können, geht es an eine Übung, die ich erstmal total verhaue: eine Vollbremsung hinlegen. Wie ich erfahre, bin ich mit meiner Scheu, voll in die Eisen zu treten, nicht allein. „Viele schaffen das nicht auf Anhieb“, beruhigt uns Martin.
Ich bremse kurz und stark ab und fahre dann langsam weiter. Das ist keine Vollbremsung. Martin erklärt, dass eine Vollbremsung anders abläuft. Blitzschnell auf die Bremse und soviel Druck ausüben, wie irgendwie geht. Das ABS muss anspringen. Das merkt man an den harten Schlägen auf das Bein auf der Bremse und dann erst einmal ganz zum Stehen kommen. Bei mir setzt schon im Bremsen ein Fluchtreflex ein. Als ich noch im Ausrollen bin, gehe ich wieder aufs Gas und fahre Richtung Ende des Übungsplatzes. Wieder daneben. Beim dritten Mal klappt es dann tadellos. Jetzt bin ich fit für die schwereren Übungen.
Achtung: Hindernis!
Die nächste Aufgabe: Ich fahre auf ein kurz vor mir auftauchendes Hindernis zu – zuerst mit 50 Stundenkilometern – bei den weiteren Fahrten etwas schneller. Dann heißt es: irgendwie eine Kollision vermeiden. Also – wenn noch Zeit ist, die Bremse reinhauen und ausweichen. Das Hindernis besteht aus biegsamen gelben Plastikstreifen, die blitzschnell nur wenige Meter vor mir aus dem Boden schießen. Knifflig: Sie können vor der linken Seite meines Autos oder auf der rechten auftauchen. Die Entscheidung, in welche Richtung ich ausweiche, muss blitzschnell getroffen werden.
Je schneller ich bremse, desto mehr Zeit habe ich, die Richtung zu erkennen, in der ich einen schmalen Streifen zum Durchfahren habe. Der Weg an den Plastikstreifen vorbei ist nämlich auf der anderen Seite wieder durch ein Plastikhütchen begrenzt. Weit auslenken oder verreißen geht da nicht. Nach drei oder vier Durchgängen habe ich die Situation gut im Griff und kriege Lob. Ich bin aber immer noch langsamer als der Rest der Gruppe.
Eine weitere Aufgabe: Ich fahre in eine Kreisbahn – ähnlich einem Kreisverkehr – nur, und das irritiert mich, verkehrt herum, nämlich im Uhrzeigersinn. Wie im Hollywoodfilm setzt in diesem Moment prompt ein Hagelschauer ein. Ich habe beim Autofahren ziemliche Angst vor schlechter Witterung mit rutschigen Straßen und schlechter Sicht.
Ich bin erstmal irritiert und überfordert. Trainer Martin erklärt uns, dass wir uns von Runde zu Runde mit unserer Geschwindigkeit steigern sollen. Wenn dann die Fliehkräfte zu groß werden und wir Gefahr laufen, aus der Kurve getragen zu werden, sollen wir eine Vollbremsung hinlegen und den Wagen unter Kontrolle bringen. Ich schleiche die erste Runde durch den Kreis völlig abgelenkt vom Hagel. Und bremse brav, wie ich es gelernt habe.
Mentale Sperre
Der Trainer erkennt sofort: Ich war noch lange nicht am Punkt, an dem die Fliehkräfte mich von der Kreisbahn getrieben hätten. Beim zweiten Mal fahre ich erstmal in die äußere Spur, nicht in den mittleren Kreis. Ich wechsle die Spuren und komme durcheinander. Erst beim dritten Mal klappt es einigermaßen. Doch ganz an dem Grenzpunkt war ich immer noch nicht mit meiner Geschwindigkeit. Da ist irgendeine mentale Sperre in mir, schneller zu werden. Auch das ist eine Erkenntnis, kapiere ich.
Die für mich schwierigste Aufgabe – von der ich schon im Internet gelesen habe – ist die Dynamikplatte. Dabei fährt man über eine Hydraulik, die bei voller Fahrt das Heck ausbrechen lässt. Wir treffen uns kurz neben den Autos und spielen mögliche Gründe durch, aus denen das passieren könnte. Ich schätze, dass das bei einem Platzer der Hinterreifen stattfindet. Martin erklärt, dass bei modernen Reifen Platzer nur noch selten vorkommen.
Viel wahrscheinlicher ist es, dass wir durch ein missglücktes Überholmanöver eines Fahrers hinter uns am Heck touchiert werden. Ich verlasse mich darauf, dass ich mittlerweile die Vollbremsung gut beherrsche und mich sogar schon daran gewöhnt habe, dass es mich dann in den Gurt wirft.
In meinen Gedanken habe ich die Aufgabe schon oft durchgespielt. Würde ich auf dem Dach landen und dann in das ADAC-Gebäude schleudern? Ich spüre meinen Magen. Wahrscheinlich habe ich zu viele Filme gesehen.
Beim ersten Mal über die „Rüttelplatte“ bin ich wieder zehn Stundenkilometer zu langsam. Sie löst trotzdem aus und wirft meinen Wagen voll aus der Bahn. Ganz so schlimm wie ein Überschlag war es dann doch nicht, aber mit meinem zwölf Jahre alten Fiesta bin ich den großen BMWs und Mercedes meiner Trainingskollegen klar unterlegen. Mein kleines, leichtes Auto springt wie ein Gummiball und dreht sich gegen die Fahrtrichtung. Ich bremse runter, und als ich das Auto einigermaßen unter Kontrolle habe, beschleunige ich und fahre schlingernd weiter Richtung Endpunkt der Übungsstrecke.
Der alte Fehler
Und wieder einmal habe ich meinen alten Fehler beim Vollbremsen gemacht. Ich bin nicht zum Stillstand gekommen, sondern geschockt von Ort des Geschehens geflüchtet. Die nächsten drei Mal auf der Rüttelplatte laufen besser, ich bekomme den Wagen immer leichter und schneller in den Griff. Bei mir setzt sich Ehrgeiz durch. Es macht mir langsam sogar Spaß. Das hätte ich am Anfang nicht für möglich gehalten.
Trotzdem: Immer wieder in den Gurt knallen, die harten Brems- und Lenkvorgänge und die vielen Adrenalinschübe zeigen nach mehreren Stunden Training nun langsam ihre Wirkung. Ich merke, dass ich physisch und psychisch erschöpft bin. Meine Konzentration lässt nach.
Obligatorische Urkunde
Am Ende bin ich froh, dass ich und mein Wagen alles gut überstanden haben. Und ich fühle schon ein bisschen Stolz. Vor dem Training habe ich mich in Gedanken daran geklammert, dass mich ja keiner zu den Übungen zwingen und ich auch aufhören kann, wenn es mir zu brenzlig wird. Aber ich habe bei keiner einzigen Übung gekniffen und auch keiner der anderen Teilnehmer.
Zum feierlichen Abschluss, gerade als sich der starke Wind an diesem Tag legt und die Sonne nach einigen Regengüssen etwas rauskommt, bekommen wir unsere Urkunden.
„Kein Kurs in Deutschland ohne Urkunde“, scherzt Fahrsicherheitstrainer Martin Müller. Ich lese, dass ich erfolgreich teilgenommen habe. Ich fühle mich an die Bundesjugendspiele erinnert. Die Urkunde ist für die meisten Teilnehmer zwar nur symbolisch, sieht aber gut aus. Wer noch ein Profitraining dranhängen will, der muss die Urkunde allerdings vorlegen. Das ist Pflicht, wie Martin uns sagt. Alles in allem fühle ich mich nach dem Fahrsicherheitstraining gut. Drei Übungen haben mich bis an meine Grenzen gebracht und teilweise noch ein ganzes Stück weiter.
Ich weiß jetzt, was auf mich zukommen kann, hoffentlich aber nie wird. Sollte ich einmal in eine kritische Situation kommen, ist es dann vielleicht die Fähigkeit zu einer schnellen Entscheidung, in welche Richtung ich ausweichen kann, vielleicht ist es auch der geringere Schock, wenn ich das ABS spüre, die mich einen Unfall verhindern lassen. Vielleicht ist es aber auch die angepasste Geschwindigkeit, die dafür sorgt, wenn ein Unfall unausweichlich ist, dass ich mit 20 Stundenkilometern auf einen Wagen auffahre, statt mit 50.
Ein wenig sicherer
Man wird in acht Stunden nicht zu einem perfekten Fahrer, wie Martin gleich bei der Begrüßung sagte, aber es ist gut, unter kontrollierten Bedingungen zu erfahren, wie Extremsituationen aussehen können und wie der Wagen und man selbst reagieren.
Ich habe ein Fahrsicherheitstraining absolviert. Foto: Susanne Raith
Die für mich härteste Übung: Die Dynamikplatte lässt beim Darüberfahren das Heck meines Wagens ausbrechen. Foto: de
Unser Trainer Martin hilft uns bei unseren Übungen mit Humor, Fürsorge und viel Erfahrung. Foto: de
Auf klitschnasser Fahrbahn komme ich bei einer Vollbremsung total ins Rutschen. Foto: Martin Müller
Mein Fahrsicherheitstraining beim ADAC brachte mich an meine Grenzen und auch ein Stück weiter
Von Doris Emmer
So erschöpft wie am vergangenen Sonntagabend war ich zuvor genau einmal in meinem Leben. Ich war damals fünf und hatte meine erste Schwimmstunde. Danach wollte ich nur noch Gummibärchen und in mein Bett. Rund 40 Jahre später war ich wieder an diesem Punkt. Am vergangenen Sonntagabend bin ich im Sitzen vor dem Fernseher eingeschlafen – mein Käsebrot auf dem Schoß. Ich hatte gerade acht Stunden Fahrsicherheitstraining beim ADAC hinter mir. Und das hatte es in sich.
Ich bin ein sehr vorsichtiger, defensiver, oft auch ängstlicher Fahrer. Ich bin lieber zehn Stundenkilometer zu langsam als zu schnell, steige beim Parken dreimal aus und schaue mir die Lücke an, nur um keinen anderen Wagen zu touchieren, und ich überhole so gut wie nie.
Die Reaktionszeit
Einmal bin ich bisher in eine brenzlige Situation gekommen. Ich war auf der A93 vor Regensburg. Sehr spät bemerkte ich ein Stauende vor mir. Während ich das erste Mal mein ABS gegen mein Bein hämmern spürte, ärgerte ich mich über die Schrecksekunde, die an mir vorübergezogen war, bis ich voll in die Bremsen stieg.
Diese Reaktionszeit hat jeder, erfahre ich beim Fahrsicherheitstraining. Die muss beim Fahren immer mit eingerechnet werden. Selbst routinierte Fahrer haben sie. Unser Gehirn arbeitet so. Ich schlitterte damals auf den Standstreifen um Haaresbreite am Wagen vor mir vorbei.
Der Reaktionsweg und der Bremsweg ergeben eben erst zusammen den Anhalteweg, erklärt Martin Müller, unser Fahrsicherheitstrainer vom ADAC mir und den anderen acht Teilnehmern am Übungsplatz.
Zwei aus unserer Gruppe haben noch Begleiter dabei, die gegen einen Aufpreis als „Copiloten“ mitfahren dürfen. Martin und wir Teilnehmer werden schnell warm miteinander. Geduzt wird sowieso. „Dann geht ein Anschiss viel leichter“, meint Martin grinsend und hat die Lacher auf seiner Seite. Das Eis ist gebrochen. Kritisiert wird im Laufe des Tages aber keiner, vielmehr lobt der Fahrsicherheitstrainer oft, ermuntert und gibt zusätzlich eine Menge hilfreiche Tipps, damit die Übungen nach und nach immer besser klappen.
Was Gefahren angeht, nimmt Martin allerdings kein Blatt vor den Mund. Er schildert uns beim Training am Übungsplatz eine Szene. Feierabend in einem kleinen Dorf. In Gedanken schon am Stammtisch, schlendert ein Fußgänger zwischen geparkten Autos über die Straße Richtung Wirtshaus.
Martin spielt mit uns die Szene durch. Wie würde sie ablaufen, wenn wir mit 50 Stundenkilometern in den Ort fahren, wie mit 70 Sachen? Wir stehen am Rand der Fahrbahn. Die Bremspunkte sind markiert. Mir ist plötzlich klar, dass ich in der Todeszone stehe. „Es kann 1 000 Mal gut gehen, beim 1 001. Mal passiert es. Und dann muss man damit leben“, sagt Martin. Die Gruppe sagt nichts. Auch wenn eine etwas überhöhte Geschwindigkeit noch keinen Punkt in Flensburg kostet, kann sie trotzdem ein Leben kosten. Das wird uns klar.
Wenig Theorie, viel Praxis
An diesen Sonntag haben wir weit weniger Theorie als geplant. Der Seminarraum darf nicht genutzt werden – Hygienemaßnahme wegen der Coronapandemie. Trainer Martin sieht das gar nicht so problematisch. „Dann haben wir mehr Zeit für die Praxis.“
Und so ist es auch. Statt gut zwei Stunden im ADAC-Gebäude zu verbringen, gibt es am Übungsplatz kurze Feedbacks in der Gruppe nach jeder Übung. Die meiste Zeit sitzen wir im Auto mit Funkgeräten neben uns. Martin steht so ständig in Kontakt mit der Gruppe und gibt Anweisungen und Hilfestellung. Martin weiß aus Erfahrung, dass die Situationen für jeden hier neu sind. Szenarien wie beim Fahrsicherheitstraining hat man meist live noch nie erlebt und man wird hoffentlich auch nie in solche Situationen kommen.
Hilfreiche Korrekturen
Trotzdem ist es ein gutes Gefühl, brenzlige Situationen einmal durchgestanden zu haben. Vielleicht ist es genau das bisschen Übung, das einem im Ernstfall die nötige Geistesgegenwart verschafft und hilft, Schlimmes zu verhindern.
Die Übungen sind von leicht nach schwer aufgebaut. Wir machen als erstes lockere Slalomfahrten um Verkehrshütchen, probieren verschiedene Fahrtechniken aus, weit auslenken oder knapp an den Hütchen vorbeifahren. Die ersten Hütchen kippen. Ist nicht schlimm. Wir sind ja hier zum Üben. Nach einigen Durchgängen kapiere ich: früh lenken und dann sanft und eng an den Hütchen vorbeifahren und immer vorausschauend sein.
Vollbremsen ist schwierig
Nachdem wir unser Auto in Kurvenlage und die Fliehkräfte nun gut einschätzen können, geht es an eine Übung, die ich erstmal total verhaue: eine Vollbremsung hinlegen. Wie ich erfahre, bin ich mit meiner Scheu, voll in die Eisen zu treten, nicht allein. „Viele schaffen das nicht auf Anhieb“, beruhigt uns Martin.
Ich bremse kurz und stark ab und fahre dann langsam weiter. Das ist keine Vollbremsung. Martin erklärt, dass eine Vollbremsung anders abläuft. Blitzschnell auf die Bremse und soviel Druck ausüben, wie irgendwie geht. Das ABS muss anspringen. Das merkt man an den harten Schlägen auf das Bein auf der Bremse und dann erst einmal ganz zum Stehen kommen. Bei mir setzt schon im Bremsen ein Fluchtreflex ein. Als ich noch im Ausrollen bin, gehe ich wieder aufs Gas und fahre Richtung Ende des Übungsplatzes. Wieder daneben. Beim dritten Mal klappt es dann tadellos. Jetzt bin ich fit für die schwereren Übungen.
Achtung: Hindernis!
Die nächste Aufgabe: Ich fahre auf ein kurz vor mir auftauchendes Hindernis zu – zuerst mit 50 Stundenkilometern – bei den weiteren Fahrten etwas schneller. Dann heißt es: irgendwie eine Kollision vermeiden. Also – wenn noch Zeit ist, die Bremse reinhauen und ausweichen. Das Hindernis besteht aus biegsamen gelben Plastikstreifen, die blitzschnell nur wenige Meter vor mir aus dem Boden schießen. Knifflig: Sie können vor der linken Seite meines Autos oder auf der rechten auftauchen. Die Entscheidung, in welche Richtung ich ausweiche, muss blitzschnell getroffen werden.
Je schneller ich bremse, desto mehr Zeit habe ich, die Richtung zu erkennen, in der ich einen schmalen Streifen zum Durchfahren habe. Der Weg an den Plastikstreifen vorbei ist nämlich auf der anderen Seite wieder durch ein Plastikhütchen begrenzt. Weit auslenken oder verreißen geht da nicht. Nach drei oder vier Durchgängen habe ich die Situation gut im Griff und kriege Lob. Ich bin aber immer noch langsamer als der Rest der Gruppe.
Eine weitere Aufgabe: Ich fahre in eine Kreisbahn – ähnlich einem Kreisverkehr – nur, und das irritiert mich, verkehrt herum, nämlich im Uhrzeigersinn. Wie im Hollywoodfilm setzt in diesem Moment prompt ein Hagelschauer ein. Ich habe beim Autofahren ziemliche Angst vor schlechter Witterung mit rutschigen Straßen und schlechter Sicht.
Ich bin erstmal irritiert und überfordert. Trainer Martin erklärt uns, dass wir uns von Runde zu Runde mit unserer Geschwindigkeit steigern sollen. Wenn dann die Fliehkräfte zu groß werden und wir Gefahr laufen, aus der Kurve getragen zu werden, sollen wir eine Vollbremsung hinlegen und den Wagen unter Kontrolle bringen. Ich schleiche die erste Runde durch den Kreis völlig abgelenkt vom Hagel. Und bremse brav, wie ich es gelernt habe.
Mentale Sperre
Der Trainer erkennt sofort: Ich war noch lange nicht am Punkt, an dem die Fliehkräfte mich von der Kreisbahn getrieben hätten. Beim zweiten Mal fahre ich erstmal in die äußere Spur, nicht in den mittleren Kreis. Ich wechsle die Spuren und komme durcheinander. Erst beim dritten Mal klappt es einigermaßen. Doch ganz an dem Grenzpunkt war ich immer noch nicht mit meiner Geschwindigkeit. Da ist irgendeine mentale Sperre in mir, schneller zu werden. Auch das ist eine Erkenntnis, kapiere ich.
Die für mich schwierigste Aufgabe – von der ich schon im Internet gelesen habe – ist die Dynamikplatte. Dabei fährt man über eine Hydraulik, die bei voller Fahrt das Heck ausbrechen lässt. Wir treffen uns kurz neben den Autos und spielen mögliche Gründe durch, aus denen das passieren könnte. Ich schätze, dass das bei einem Platzer der Hinterreifen stattfindet. Martin erklärt, dass bei modernen Reifen Platzer nur noch selten vorkommen.
Viel wahrscheinlicher ist es, dass wir durch ein missglücktes Überholmanöver eines Fahrers hinter uns am Heck touchiert werden. Ich verlasse mich darauf, dass ich mittlerweile die Vollbremsung gut beherrsche und mich sogar schon daran gewöhnt habe, dass es mich dann in den Gurt wirft.
In meinen Gedanken habe ich die Aufgabe schon oft durchgespielt. Würde ich auf dem Dach landen und dann in das ADAC-Gebäude schleudern? Ich spüre meinen Magen. Wahrscheinlich habe ich zu viele Filme gesehen.
Beim ersten Mal über die „Rüttelplatte“ bin ich wieder zehn Stundenkilometer zu langsam. Sie löst trotzdem aus und wirft meinen Wagen voll aus der Bahn. Ganz so schlimm wie ein Überschlag war es dann doch nicht, aber mit meinem zwölf Jahre alten Fiesta bin ich den großen BMWs und Mercedes meiner Trainingskollegen klar unterlegen. Mein kleines, leichtes Auto springt wie ein Gummiball und dreht sich gegen die Fahrtrichtung. Ich bremse runter, und als ich das Auto einigermaßen unter Kontrolle habe, beschleunige ich und fahre schlingernd weiter Richtung Endpunkt der Übungsstrecke.
Der alte Fehler
Und wieder einmal habe ich meinen alten Fehler beim Vollbremsen gemacht. Ich bin nicht zum Stillstand gekommen, sondern geschockt von Ort des Geschehens geflüchtet. Die nächsten drei Mal auf der Rüttelplatte laufen besser, ich bekomme den Wagen immer leichter und schneller in den Griff. Bei mir setzt sich Ehrgeiz durch. Es macht mir langsam sogar Spaß. Das hätte ich am Anfang nicht für möglich gehalten.
Trotzdem: Immer wieder in den Gurt knallen, die harten Brems- und Lenkvorgänge und die vielen Adrenalinschübe zeigen nach mehreren Stunden Training nun langsam ihre Wirkung. Ich merke, dass ich physisch und psychisch erschöpft bin. Meine Konzentration lässt nach.
Obligatorische Urkunde
Am Ende bin ich froh, dass ich und mein Wagen alles gut überstanden haben. Und ich fühle schon ein bisschen Stolz. Vor dem Training habe ich mich in Gedanken daran geklammert, dass mich ja keiner zu den Übungen zwingen und ich auch aufhören kann, wenn es mir zu brenzlig wird. Aber ich habe bei keiner einzigen Übung gekniffen und auch keiner der anderen Teilnehmer.
Zum feierlichen Abschluss, gerade als sich der starke Wind an diesem Tag legt und die Sonne nach einigen Regengüssen etwas rauskommt, bekommen wir unsere Urkunden.
„Kein Kurs in Deutschland ohne Urkunde“, scherzt Fahrsicherheitstrainer Martin Müller. Ich lese, dass ich erfolgreich teilgenommen habe. Ich fühle mich an die Bundesjugendspiele erinnert. Die Urkunde ist für die meisten Teilnehmer zwar nur symbolisch, sieht aber gut aus. Wer noch ein Profitraining dranhängen will, der muss die Urkunde allerdings vorlegen. Das ist Pflicht, wie Martin uns sagt. Alles in allem fühle ich mich nach dem Fahrsicherheitstraining gut. Drei Übungen haben mich bis an meine Grenzen gebracht und teilweise noch ein ganzes Stück weiter.
Ich weiß jetzt, was auf mich zukommen kann, hoffentlich aber nie wird. Sollte ich einmal in eine kritische Situation kommen, ist es dann vielleicht die Fähigkeit zu einer schnellen Entscheidung, in welche Richtung ich ausweichen kann, vielleicht ist es auch der geringere Schock, wenn ich das ABS spüre, die mich einen Unfall verhindern lassen. Vielleicht ist es aber auch die angepasste Geschwindigkeit, die dafür sorgt, wenn ein Unfall unausweichlich ist, dass ich mit 20 Stundenkilometern auf einen Wagen auffahre, statt mit 50.
Ein wenig sicherer
Man wird in acht Stunden nicht zu einem perfekten Fahrer, wie Martin gleich bei der Begrüßung sagte, aber es ist gut, unter kontrollierten Bedingungen zu erfahren, wie Extremsituationen aussehen können und wie der Wagen und man selbst reagieren.